Terror von Ferdinand von Schirach

Schreibe einen Kommentar
Kurzmitteilung / Psychologie
Trolley Problem

Ein moralpsychologisches Lehrstück?

Die ARD hat am 17.10.2016 das Theaterstück „Terror“ von Ferdinand von Schirach abends zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Die Zuschauer hatten dann – wie im Theaterstück – die Möglichkeit, ihr eigenes Urteil abzugeben (wobei viele wohl aufgrund technischer Probleme der ARD weder telefonisch noch per Internet zur Stimmabgabe kamen – ich habe es auch nicht geschafft).

Der Inhalt des Stücks dürfte bekannt sein – ein Kampfpilot schießt ein mit 164 Passagieren besetztes Flugzeug ab, das von einem Terroristen entführt wurde und ein mit 70.000 Menschen besetztes Fußballstadion ansteuert. Im Stück wird die Gerichtsverhandlung dargestellt und die Zuschauer dürfen über das Urteil entscheiden: Soll der Pilot wegen 164fachen Mordes verurteilt oder freigesprochen werden?

Der Bundesrichter Thomas Fischer hat auf in seinem Blog auf Zeitonline das Stück (nicht nur) aus juristischer Sicht massiv kritisiert. Seine Argumente zum Zusammenhang von Schuld und Recht sind erhellender als das gesamte Stück.

„Weil das Stück von Schirach die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld fast vollständig unterschlägt, unterschlägt es auch die Tatsache, dass die Lösung des Dilemmas keineswegs nur „jenseits des Rechts“, also irgendwo im Reich der höchstpersönlichen, beliebig „abstimmbaren“ Moral gefunden werden kann, sondern dass es gerade das Recht ist (und sein muss), das sich die am weitesten gehenden und überzeugendsten Gedanken zu solchen Problemen gemacht hat“ stellt Fischer in seinem Blog fest.

Ich bin mir nicht sicher, ob das Recht sich die „am weitesten gehenden und überzeugendsten Gedanken“ gemacht hat (falls sich das Recht überhaupt Gedanken macht). Plausibel ist aber, dass die juristische Lösung des Falles durchaus möglich ist. Dies zeigt auch das im Fernsehstück dann gespielte Urteil, in dem der Richter plötzlich den „übergesetzlichen Notstand“ aus dem „Fernsehzylinder zaubert“ (Fischer).

So wie sich der Jurist Fischer über die rechtlichen Unzulänglichkeiten des Stückes ärgert, ärgere ich mich über die verpasste Chance, einem Millionenpublikum ein faszinierendes moralisches Dilemma zu präsentieren.

Das Abstimmungsergebnis (87% der Zuschauer votierten für „Freispruch“) zeigte deutlich, dass für die meisten gar kein Dilemma vorlag, sondern alles für die „Freispruch-Alternative“ sprach (für die ich übrigens auch gestimmt hätte). Wenn ein moralisches Problem keinen Dilemmacharakter hat, dann ist es als Grundlage einer spannenden Diskussion nur wenig geeignet. Dilemma bedeutet ja, dass es keine zufriedenstellende Lösung gibt, sondern nur zwei (oder mehrere) suboptimale Lösungen: Wie man sich auch entscheidet, man macht immer etwas falsch. Ein ideales moralisches Dilemma sollte auf jeder moralischen Urteilsstufe (siehe meinen Beitrag vom 29.9.2016) eine Begründung für beide Alternativen zulassen. Dies kann man in Schirachs Stück allenfalls für den Piloten annehmen, aber leider nicht für den Zuschauer in der Rolle eines Schöffen.

Bei Hart aber fair stand Gerhart Baum mit seiner Ablehnung des Freispruchs daher auf verlorenem Posten.

Die typischen Requisiten moralpsychologischer Forschung kamen übrigens fast alle im Stück vor: das sog. Trolleydilemma („Soll man die Weiche umstellen, wenn statt fünf dann nur ein Mensch getötet wird?“), Kants Aufsatz zum „Lügen“, die moralische Intuition. All dies wurde aber nur angedeutet und wurde nicht weiter vertieft.

* Abbildung von McGeddon - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=52237245

Schreibe einen Kommentar